Über das Buch

Der zweitjüngste Sohn einer kinderreichen katholischen Lehrerfamilie in Derry bekam schon früh die Diskriminierung der Katholiken zu spüren, die in den 60er Jahren zur Bildung einer starken Bürgerrechtsbewegung führte. Auch in den deutschen Nachrichten gab es damals immer wieder Berichte mit Bildern von Bürgerrechtsmarschierern, Polizeiknüppeln und Panzern. Doch nur wenigen deutschen Zuschauern gelang es, sich ein Bild der Zusammenhänge zu verschaffen. Viele glaubten, es handele sich um einen Glaubenskrieg zwischen Protestanten und Katholiken und wunderten sich, wie im aufgeklärten Westen so etwas möglich sein konnte.

Hier liegt nun der authentische Bericht eines ursprünglich unbeteiligten, später aber radikalisierten Zeitzeugen und Mittäters vor, der die Hintergründe aus eigenem Erleben schildert. In den langen Jahren seiner späteren Haft rechnete O'Doherty schließlich schonungslos mit sich selbst ab und wandte sich der aktiven Reue zu. Als das Buch 1989 zuerst erschien, war es sofort ein Bestseller. Dem deutschen Buchmarkt blieb es allerdings lange verborgen. Nun kann man O'Dohertys Autobiographie endlich auch bei uns erhalten und aus erster Hand erfahren, wie ein entsetzter Jugendlicher das Blutvergießen des Bloody Sunday 1972 miterlebte und welche Folgen es für ihn hatte.


Bilder von Derry

Bilder von Derry: Stadtteil Bogside / Zwei Wandgemälde / Mahnmal in der Bogside (Fotos: Mark A. Wilson, Kryptonit, Wikimedia Commons, Alan Mc)

Sonntag, 23. Juni 2013

Die Schule in Derry: St Columb's College Teil 2

Obwohl er fast 16 Jahre jünger als die erste Generation nach dem Education Act von 1947 war, wurde auch Shane O'Doherty von Maurice Fitzpatrick interviewt und verriet dabei Einzelheiten, die...

er in "The Volunteer" nicht berichtet hatte...Das Bestehen der Aufnahmeprüfung trennte ihn von Kindheitsfreunden und machte das Tragen der St Columb's-Schuluniform erforderlich, was manchmal zu Reibereien auf der Straße führte. Was nicht im Buch zu lesen steht: Shane war als Sohn eines beliebten Grundschullehrers in der Bogside einigermaßen bekannt und musste sich wegen der Uniform Sticheleien anhören. Im College selbst musste er die üblichen recht grausamen Initiationsriten über sich ergehen lassen, wobei man beispielsweise mit dem Kopf in das Toilettenbecken gedrückt wurde und den Wasserfluss der Spülung ertragen musste. Das wurde mit jedem so gemacht. Es gab auch genug Lehrer, die in sadistischer Weise schlugen und sonstwie straften. Elternprotest war äußerst selten und so gut wie immer folgenlos. Aber was Shane schließlich heftig störte, war die Tatsache, dass die Bürgerrechtsverletzungen in Derry, der Protest der Fabrikarbeiterinnen, die Aktionen der Bürgerrechtsbewegung mit ihren Sit-ins und Märschen durch die Stadtmitte in der Schule nie erwähnt wurden. Über die „Schlacht von Bogside“ beispielsweise fiel nicht ein einziges Wort. Es waren unerwünschte Themen; die Schule existierte wie in einer anderen Welt und die wenigen Schüler, die später heimlich in die IRA eintraten, konnten sich mit niemandem an der Schule darüber auseinandersetzen, welches Unrecht täglich „draußen“ begangen wurde und wie man sich dazu stellen wollte; oder gar, was geeignete Methoden wären, sich zu wehren.
Kritische Auseinandersetzung fand nicht statt; es blieb einem nur die Möglichkeit, alles kommentarlos zu ertragen oder aber sich auf das Doppelleben eines heimlichen zündelnden jugendlichen „Freiheitskämpfers“ einzulassen, der nach außen den braven Schüler gab und (wie Shane) durchaus gut lernte und arbeitete. Schüler, die öffentlich Haltung zeigten, indem sie sich erkennbar mit Bürgerrechtlern, von den Soldaten willkürlich zusammengeschlagenen Jugendlichen und ungerechtfertigt Verhafteten solidarisierten, wurden rigoros der Schule verwiesen.
Nach seinem Protestbrief an die Zeitung wurde auch Shane als unerwünscht behandelt und blieb danach nicht mehr lange am College. In „The Volunteer“ berichtete er von seinem Zugang zu einem Armalite-Gewehr, dass sich besonders gut zum versteckten Herumtragen eignete. Was er jedoch nicht berichtet:  
Mit diesem Gewehr führten er und seine IRA-Kumpel vom Schulgelände aus (!) einen Schießangriff auf Soldaten aus, die auf dem Dach des nahegelegenen Gaswerks einen Beobachtungsposten installierten. Danach rollten die Jugendlichen seelenruhig mit dem Fluchtwagen zur Schulausfahrt hinaus und zeigten dabei noch das Gewehr am Autofenster.
Es war damit ein Punkt erreicht, von dem an ihm nur noch Untertauchen beziehungsweise völliges Verschwinden blieb. Während seine Klassenkameraden ihre Abschlussprüfungen ablegten, führte Shane in London als Einzeltäter seine Briefbombenkampagne aus, die er damals in seiner Verblendung als seine eigene Art von Abschlussprüfung betrachtete.  

Informationen entnommen aus dem Buch „The Boys of St Columbs“ ( siehe dazu auch den älteren Eintrag vom Dienstag 2. April 2013.

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