Über das Buch

Der zweitjüngste Sohn einer kinderreichen katholischen Lehrerfamilie in Derry bekam schon früh die Diskriminierung der Katholiken zu spüren, die in den 60er Jahren zur Bildung einer starken Bürgerrechtsbewegung führte. Auch in den deutschen Nachrichten gab es damals immer wieder Berichte mit Bildern von Bürgerrechtsmarschierern, Polizeiknüppeln und Panzern. Doch nur wenigen deutschen Zuschauern gelang es, sich ein Bild der Zusammenhänge zu verschaffen. Viele glaubten, es handele sich um einen Glaubenskrieg zwischen Protestanten und Katholiken und wunderten sich, wie im aufgeklärten Westen so etwas möglich sein konnte.

Hier liegt nun der authentische Bericht eines ursprünglich unbeteiligten, später aber radikalisierten Zeitzeugen und Mittäters vor, der die Hintergründe aus eigenem Erleben schildert. In den langen Jahren seiner späteren Haft rechnete O'Doherty schließlich schonungslos mit sich selbst ab und wandte sich der aktiven Reue zu. Als das Buch 1989 zuerst erschien, war es sofort ein Bestseller. Dem deutschen Buchmarkt blieb es allerdings lange verborgen. Nun kann man O'Dohertys Autobiographie endlich auch bei uns erhalten und aus erster Hand erfahren, wie ein entsetzter Jugendlicher das Blutvergießen des Bloody Sunday 1972 miterlebte und welche Folgen es für ihn hatte.


Bilder von Derry

Bilder von Derry: Stadtteil Bogside / Zwei Wandgemälde / Mahnmal in der Bogside (Fotos: Mark A. Wilson, Kryptonit, Wikimedia Commons, Alan Mc)

Freitag, 26. April 2013

Die IRA - wer sind die eigentlich?


Achtung: Der Nordirlandkonflikt (als "the Troubles" bekannt) ist im Internet bereits sehr gründlich dokumentiert, und ich werde den zum Teil hervorragenden Darstellungen nicht einmal annähernd Konkurrenz machen. Dies hier ist ...
also keine detaillierte und präzise historische Darstellung, sondern nur ein behelfsmäßiger Überblick.

Teil 1
Zu Anfang (1913) ging aus der Irish Republican Brotherhood (IRB) die Irisch-Republikanische Armee hervor, die 1916 in Dublin den Osteraufstand (Easter Rising) gegen die britische Herrschaft organisierte. Wer sich in Dublin das General Post Office in der O’Connell Street anschaut, findet...

...in der Fassade immer noch Einschüsse der Artillerie und Gewehre jener sechs Tage. Die Anführer des Aufstands verfassten und unterzeichneten die sogenannte Osterproklamation, die Irland zur unabhängigen Republik erklärte. Noch heute kann man dieses Dokument als Faksimile in den Touristenläden erwerben, denn die Romantik des irischen Patriotismus lässt sich gewinnbringend vermarkten. Allerdings war der Osteraufstand durch amateurhafte Organisation und Vorgehensweise militärisch gesehen zum Scheitern verdammt. Dafür schuf er aber unvergessene  Märtyrergestalten: Padraig Pearse, James Connolly und viele weitere, deren Abbilder als Statuen das Bild der Hauptstadt prägen. Immerhin brachte der fehlgeschlagene Aufstand aber das republikanische Bewusstsein in die Köpfe der Bevölkerung, erzeugte starke nationale Solidarität, und der schwierige Weg Irlands zur eigenständigen Republik nahm unaufhaltsam seinen Gang.
Nach den tragischen Helden von 1916 sind Bahnhöfe, Straßen, Plätze, Institutionen und natürlich auch zahlreiche Pubs benannt. Ihr Konterfei findet sich auf Briefmarken, Dichter schrieben über sie, Sänger verherrlichten sie, und es gibt immer wieder neue Bücher zum Thema. Als Beispiel möchte ich hier den Roman „Henry der Held“ (A Star Called Henry) des Erfolgsautors Roddy Doyle nennen. 
 
Dann gab es die IRA des äußerst brutalen Unabhängigkeitskrieges von 1919-21. Der „Film zum Mann“ Michael Collins (gespielt von Liam Neeson) hat erfolgreich Kenntnisse dieses Teils der irischen Geschichte ans breitere Publikum gebracht. Mit IRA-Führer Collins erlebte Dublin auch am 21. November 1921 seinen eigenen „Bloody Sunday“. Als Vergeltung für die 14 britischen Spione, die er erschießen ließ, feuerte die RIC-Polizei (Royal Irish Constabulary) während eines Fußballspiels in die Menschenmenge im Croke Park-Stadion und 14 Personen mussten ihr Leben lassen. Die IRA jener Tage wird als Alte IRA (Old IRA) bezeichnet; auch einige Dubliner Verwandten der Familie von Shane O’Doherty gehörten ihr an.
Der anglo-irische Vertrag von 1921, der den Freistaat Irland begründete, brachte die Teilung Irlands mit sich, denn er ermöglichte es den sechs nordirischen Grafschaften, weiterhin zu Großbritannien zu gehören. Doch die irische Regierung zerbrach an den Differenzen, die das Parlament (Dáil), die Sinn-Féin-Partei und die IRA zerspalteten. Es gab unter allen Beteiligten Gegner und Befürworter der Teilung Irlands. Die IRA war in sich gespalten. Als Folge war ein Bürgerkrieg, der sich durch besondere Brutalität von beiden Seiten auszeichnete, nicht mehr zu verhindern. Auch andere Städte wurden zu Kriegsschauplätzen, und Collins wurde 1922 erschossen. Über all dem Gemetzel verlor die IRA den entscheidenden Rückhalt in der Bevölkerung. Bis Anfang der 60er Jahre  hatte sie schließlich nur noch versprengte Sympathisanten, während die Republik Irland ihren Alltag im Frieden erlebte. Die Grenze zwischen der Republik Irland und dem britischen Nordirland wurde mit Kontrollstationen und bewaffneter Grenzpolizei verstärkt.



Teil 2: Die Provos - Shane O'Dohertys IRA
In Nordirland hingegen waren Katholiken gegenüber den Protestanten deutlich benachteiligt. Sie hatten bei der Arbeits- und Wohnungssuche immer das Nachsehen, und vielen von ihnen blieb nur die Auswanderung. Gezielt ungerecht gelegte Wahlkreisgrenzen sorgten dafür, dass auch Wahlen an diesen Missständen nichts änderten. Deshalb wurden 1968 und 1969 die Forderungen der friedlich marschierenden Bürgerrechtler immer lauter, die gleiche Rechte und ein Ende der Benachteiligung von Katholiken in Nordirland forderten. Shane O’Doherty, damals 14, trat heimlich mit ein paar Freunden in die IRA ein. Doch die RUC (protestantische Polizei) und die paramilitärischen Loyalisten, die Nordirland als Teil Großbritanniens verteidigen wollen, schlugen gewaltsam zu.  Es kam zu teils heftigen Unruhen, weil die überwiegend katholischen Demonstranten sich verteidigten - wie zum Beispiel in Derry in der „Schlacht von Bogside“, an der O’Doherty als Schuljunge sich auch beteiligte. Die Unruhen lösten im Nachbarstaat Republik IrIand heftige Debatten in der IRA aus, die damals eher bedeutungslos war. Im Dezember 1969 kam es darüber zur Spaltung der IRA. Die neugegründete Provisional IRA (auch die PIRA oder die Provos genannt) vertrat die Einstellung, man müsse Großbritannien mit Gewalt so unter Druck setzen, dass es sich aus Irland ganz zurückzog. Angeführt wurden die Provos von drei Männern, von denen einer Sean MacStiofain hieß. Shane O’Doherty, der noch Schüler war, begegnete ihm, als er an einem geheimen Trainingscamp teilnahm und beschreibt den Vorfall in „The Volunteer“.
Die verschiedenen Standorte der IRA in Nordirland gingen unterschiedlich radikal vor. Die Provos in Derry waren im Vergleich zu denen in Belfast eher gemäßigt, versuchten die Bevölkerung zu schützen und Zivilisten herauszuhalten. Protestanten wurden nicht als Gegner gesehen, sondern die britische Armee war der Feind. Heimliche Mitglieder (Volunteers) rekrutierte die IRA aus der Zivilbevölkerung. Nach dem Bloody Sunday 1972 ging mit der öffentlichen Empörung eine Welle der Solidarität  durch die katholische Bürgerschaft. Sie bescherte den Provos  schlagartig enormen Zulauf, nicht nur in Derry, sondern überall in Nordirland. Shane O’Doherty hatte damals die IRA bereits links liegen gelassen, kam nun aber zurück und beteiligte sich erneut an Bombenanschlägen. Diese richteten zwar viel Schaden an, hatten aber wenig politischen Erfolg. Also wurden sie auf England ausgedehnt. Shane war für eine Briefbombenserie in London zuständig, die er im Buch genauer beschreibt, und die die IRA und ihr Anliegen wie geplant in die Weltnachrichten katapultierte; danach wurde er wieder in Nordirland eingesetzt.
Als erste Verhandlungsannäherungen zwischen der IRA und der britischen Regierung stattfanden, wurde zunächst ein beiderseitiger Waffenstillstand vereinbart, der jedoch nicht lange hielt. Während dieses Waffenstillstands wurde O’Doherty gefasst. Es sollte aber noch 23 Jahre dauern, bis mit Hilfe internationaler Diplomatie (federführend der damalige US-Präsident Bill Clinton, der britische Premierminister Tony Blair und der irische Taoiseach Bertie Ahern) am 10. April 1998 mit dem Karfreitagsabkommen ein ernsthafter Verhandlungserfolg erzielt wurde. Dieser sah unter anderem die Selbstentwaffnung der IRA vor. Unter der Aufsicht eines internationalen Überwachungskomitees wurde diese später auch tatsächlich vollständig durchgeführt. 2007 erklärte die Führung der IRA, sie sei endgültig zu der Überzeugung gekommen, dass sich ihre politischen Ziele nicht mit Waffengewalt durchsetzen ließen. In Zukunft sollte nur noch der Verhandlungsweg beschritten werden, mit der Sinn Féin-Partei, die den politischen Arm der IRA darstellt.
Leider war auch das nicht das Ende der Waffengewalt, denn 2007 spaltete sich die Real IRA (RIRA) von der Provisional IRA ab. Die RIRA sieht sich nicht an das Karfreitagsabkommen gebunden und setzt auf Fortführung des Kampfes mit Waffengewalt. Und nicht zu vergessen - auch auf der politischen Gegenseite agieren nach wie vor paramilitärische Splittergruppen der Loyalisten…
Diese Informationen stammen aus „The Volunteer“ und wurden ergänzt durch englischsprachige Quellen unter cain.ulst.ac.uk/

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